„Entscheidend is auf’m Platz“ - so hört man es im fußballbegeisterten Ruhrgebiet noch immer. Dieses Zitat Adi Preißlers, des Kapitäns des Dortmunder BVB in den 1950er Jahren, im Ganzen: „Grau ist alle Theorie - entscheidend is auf’m Platz“, könnte man durchaus auch auf den Platz rund um die Dortmunder Reinoldikirche beziehen, denn dort wurde man bis 2010, dem Jahr, in dem die Schallfenster des Glockenturmes (allzu) dicht verbrettert wurden, mit dem Klanginferno der 6 Stahlglocken beschallt, eher beschrien. In einiger Entfernung oder in Seitenstraßen erkannte man die gute Qualität des Geläutes besser, unmittelbar bei der Kirche hatten die Glocken eine schier erdrückende Lautstärke. Die hier vorgelegte Aufnahme der großen Dreifaltigkeitsglocke ist direkt „auf’m Platz“, am Nordseitenschiff der benachbarten Marienkirche, angefertigt worden. Trotz Aussteuerung nahe „Turmaufnahme“ knickt das Mikrofon bei einigen Anschlägen weg. Grund für die enorme Lautstärke waren die weit geöffneten Schallfenster, aber wohl auch die Tatsache, dass sich im historischen Gewand des Turmes ein zweiter Turm, komplett aus Stahlbeton errichtet, befindet. Die von Anfang an vorhandene Holzverschalung der Glockenstubenwände zeigte wenig bis gar keine akustische Wirkung.
Der gotische Turm von St. Reinoldi, 1454 vollendet, und mit 113 Metern Höhe als „Wunder Westfalens“ bezeichnet, erlitt bei einem Erdbeben 1640 große Schäden und stürzte am 15. Mai 1661 schlussendlich ein. Bereits 1662 wurde der Grundstein zu den Wiederaufbauarbeiten des Turmes und der Kirche gelegt, der Turm jedoch erst 1701 vollendet. Statt einer hohen, gotischen Spitze erhielt er das heute bekannte Oktogon mit Zwiebel und Laterne. Dieser Turm, wie die Kirche auch, wurde bei Bombenangriffen 1943 und 44 schwer getroffen und brannte aus. Der Wiederaufbau des völlig ausgeglühten Turmes konnte nur mit dem im Inneren neu eingebauten Stahlbetonturm, selbst die Turmzwiebel ist aus Beton gegossen, erfolgen, ansonsten hätte der Turm abgetragen und komplett neu errichtet werden müssen. Durch Streckung des Oktogons und des Helmes beim Wiederaufbau erreicht der Turm heute eine Höhe von nahezu 105 Metern. Der Wiederaufbau war Ende 1954 mit dem Aufsetzen der Wetterfahne, der Einbringung des Geläutes und der Inbetriebnahme der Turmuhr zum Jahreswechsel abgeschlossen.
Am 02.06.1954 wurden im Gußstahlwerk des Bochumer Vereins die 6 Glocken für St. Reinoldi gegossen. Das Geläut ist das bisher größte der Kirche und auch das größte, je in der sog. Versuchsrippe 7 gegossene Geläut des BVG. Die große Dreifaltigkeitsglocke ist die drittgrößte, läutbare Glocke des BVG und die größte am geraden Joch geläutete. Sie gehört sicher zu den wirklich guten Glocken des BVG - dies ist in dieser Aufnahme allerdings nur schwer zu erkennen. Seit 2010 erklingt sie hinter den dicht verschlossenen Schallfenstern deutlich gehaltvoller - allerdings auch erheblich dezenter.
Glockendaten:
1. Dreifaltigkeitsglocke
f° -5, 2535 mm, ~6500 kg, Gußnummer 5470
Inschrift:
DREIFALTIGKEITSGLOCKE
DIE GNADE UNSERES HERRN JESU CHRISTI
UND DIE LIEBE GOTTES
UND DIE GEMEINSCHAFT DES HEILIGEN GEISTES
SEI MIT EUCH ALLEN AMEN
Aufnahme mit Minidiscrecorder: Karfreitag, 18.03.2003 zum Hauptgottesdienst ab ca. 11.25 Uhr aus süd-südöstlicher Diagonale. Zum Ende stören Uhrschlag und das Stühlerücken eines benachbarten Schnellrestaurants.
Fotos:
Südwestansicht: Unveränderte Übernahme aus commons.wikimedia.org: Riessdo, 2011
Südostansicht: Unveränderte Übernahme aus commons.wikimedia.org: Островский Александр, Киев, 2009
Frontalansicht der Glocke: Unveränderte Übernahme aus commons.wikimedia.org: Andreasdziewior, 2010
Diagonalansicht der Glocke: Unveränderte Übernahme aus commons.wikimedia.org: Sebastian “sebrem” B, 2013
S/W-Foto: siehe unten.
Alle anderen Fotos eigener Provenienz.
Genutzte Quellen/Literatur:
Dr. Claus Peter: Die Glocken der Dortmunder Stadtkirchen, Bestand - Geschichte - Quellen, Stiftung Denkmalswerte Kirchen der Ev. Kirche in Dortmund und Lünen, 2010.
Hans Lindemann (Hrsg.): St. Reinoldi in Dortmund, W. Crüwell Verlagsbuchhandlung Dortmund 1956, daraus auch das S/W-Foto vom Glockenaufzug
7 сен 2024
