Das klangvolle Geläute in den beiden Apsidentürme der ehem. Stiftskirche St. Leonhard in Frankfurt am Main besteht aus insgesamt sechs Glocken.
Blickt man vom Eisernen Steg gen Westen der einstigen Altstadt von Frankfurt fällt der Blick zunächst auf die Silhouette der riesigen Bankentürme - wieder auf dem Boden angekommen findet sich schließlich, direkt am Mainufer, die Leonhardskirche, welche als ältestes mittelalterliches Gotteshaus der Mainmetropole auch für die Stadtgeschichte von nicht unerheblicher Bedeutung ist.
So dokumentiert eine Urkunde vom 15. August 1219 die kaiserliche Schenkung eines Grundstückes an die Frankfurter Stadtgemeinde zum Bau eines Gotteshauses. In der Folge entstand als Gründungsbau eine spätromanische dreischiffige Basilika, von der heute Teile der Westfassade und beide Türme erhalten sind. Bis 1434 wurde der Chor errichtet und ab 1508 das romanische Langhaus zu einer fünfschiffigen spätgotischen Halle umgebaut.
Mit Glocken wurde St. Leonhard bereits im frühen 14. Jh. ausgestattet. Datiert werden kann zunächst der Guss zweier Glocken durch Meister Johannes von Mainz im Jahre 1340. Ebenfalls im 14. Jh. wurde von einem unbekannten Glockengießer die sog. Kapitelsglocke gefertigt. Den Geläutesatz vervollständigte 1468 eine reichlich verzierte hochgorische Glocke mit einem stolzen Durchmesser von 1240 mm, gegossen vom hiesigen Glockengießer Martin Moller. Eine weitere mittelalterliche Glocke zersprang später und wurde 1883 durch J. G. Große (Dresden) umgegossen, musste jedoch bereits 1917 zu Kriegszwecken eingeschmolzen werden.
Von schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg blieb der Kirchenraum von St. Leonhard zwar nahezu vollständig verschont und stellt heute das wohl besterhaltenste Bauwerk der hist. Altstadt dar - jedoch fing das Dachgebälk während eines Luftangriffs im März 1944 Feuer und das Innere der Türme brannte aus. Dabei zerschmolz auch das (mittelalterliche) Geläute von St. Leonhard, welches zu den wertvollsten in Frankfurt zählte und daher auch nicht zu Rüstungszwecken eingezogen wurde. Die hochinteressante Tonfolge: dis' gis' eis'' (ais'', Kapitelsglocke). Ein kunst- und auch musikhistorisch unwiederbringlicher Verlust!
Fast schon von Glück muss man in Anbetracht von zuvor geschriebenem reden: die Kapitelsglocke überstand als Einzige die Kriegswirren, war sie doch 1942 vom Turm genommen, jedoch nicht eingeschmolzen worden und 1947, wenn auch mit fehlenden Kronenhenkeln nach St. Leonhard zurückgekehrt. Dort lud sie bis zur Anschaffung des gegenwärtigen Geläutes alleine zu den Gottesdiensten und wurde ab 1984 als Wandlungsglocke in der Kirche verwendet.
1954 wurde Paul Smets mit der Erstellung eines Gutachtens zur Neukonzeption des im Krieg untergegangenen Frankfurter Stadtgeläutes beauftragt. Für St. Leonhard war zunächst ein fünfstimmigen Geläutes vorgesehen, es wurde nach einer Spende jedoch noch um die kleinste Glocke ergänzt. Die größte und kleinste Glocke befinden sich im mainseitigen Südturm, die Glocken a‘ h‘ cis‘‘ e‘‘ hingegen im Nordturm - je nach Standort treten also die entsprechenden Glocken akustisch hervor.
Das Geläut selbst weist keinerlei harmonische Schwächen auf: Die Glocken werden in der Tonhöhe relativ zu den tontieferen Glocken schwerer (Rippenprogession), was eine dynamisch durchaus ausgeglichene Melodiezeichnung ermöglicht. Gegenwärtig wird durch den Verfasser zudem eine neue Läuteordnung erarbeitet, welche den zahlreichen liturgischen Variationsmöglichkeiten des Geläutes gerecht werden soll. Zugleich erfolgt eine Sanierung der alten Kapitelsglocke - sie wird später wieder einem eigenen Glockenstuhl im Kirchenraum montiert - dort behält sie ihre bisherige Funktion als Wandlungsglocke.
Technische Daten der Glocken
1. Christus, Ton: fis'+1
Gewicht: 890 kg, Durchmesser: 1091 mm.
2. Maria, Ton: a'+1,5
Gewicht: 603 kg, Durchmesser: 952 mm.
3. Johannes, Ton: h'-1
Gewicht: 409 kg, Durchmesser: 846 mm.
4. Petrus, Ton: cis''+/-0
Gewicht: 290 kg, Durchmesser: 753 mm.
5. Georg, Ton: e''+1,5
Gewicht: 249 kg, Durchmesser: 705 mm.
6. Leonhard, Ton: fis''+4
Gewicht: 178 kg, Durchmesser 629 mm.
Alle o. g. Glocken wurden 1956 von F. W. Schilling in Heidelberg gegossen.
I. Kapitelsglocke, Ton: ais''+6 (z. Zt. nicht läutbar)
Gewicht: 63 kg, Durchmesser: 449 mm.
Quellen:
1. Inventarisation durch den Verfasser, 24.08.2023. (Bezugston für Schlagtonangaben: a': 435 Hz.)
2. BUND, Konrad (Hg.), Frankfurter Glockenbuch (Mitteilungen aus dem Frankfurter Stadtarchiv 4), Frankfurt am Main, 1986. insb. S. 445.
3. SCHMIDT, Dieter: Friedrich Wilhelm Schilling - Leben und Werk. Nürnberg, 1992. S. 120.
4. KLOFT, Matthias Theodor: St. Leonhard Frankfurt am Main. Schnell & Steiner Kunstführer Nr. 2196 (5. Aufl.), Regensburg 2021.
Ein herzlicher Dank ergeht an Dr. Marco Popp für die Einladung und Unterstützung sowie Küsterin Regina Großhauser für die Ermöglichung der Aufnahme und das große Interesse!
Text, Ton und Bild: Ben Schröder. #Glocken
17 сен 2023
