Text&Musik: Paula Linke
Aufnahme: Haus der Sinne, Berlin
13.05.2021
Es zieht eine Narbe seit Jahren
sich hässlich und krustend dahin
über's feine Gesicht Europas,
ein blutroter Striem bis zum Kinn.
An einigen Stellen ist sie wund schon,
wird sicherlich lang noch nicht heilen.
Nein, dort eitert's kräftig weiter,
weil man Menschen zwingt dort zu verweilen.
Wann, sag mir, wann, weht dort je sanfter Wind?
Wann, sag mir, wann, spielt dort ein glückliches Kind?
Wann, sag mir, wann, war je 'ne Mauer wohl gut
Wann nur, sag mir, wann nur, schöpft man aus Fesseln je Mut?
Aus einem Auge da tränt es
die Tänen eines Krokodils.
Ich kann ihnen nicht recht glauben,
die Wimpern, sie glitzern zu viel.
Die Tränen fließen verheißend
und lockend die Narbe hinab,
auf dem Weg versickernd in Kratern,
dort hat sie die Zeit wohl geschabt.
Die Lippen geben Sicht frei auf Zähne,
doch ist dies ein Lächeln wohl kaum.
Es donnert und dröhnt aus der Kehle:
Ein blitzweißer, knurrender Zaun.
Und der, der dran klopft, wird gebeten
ein bisschen noch auszuharren.
„Ja, wir haben hier grad eine Krise.
Das wird wohl noch dauern. Bis dann.“
Wann, sag mir, wann, riecht Europa den Brand?
Wann, sag mir, wann, fühlt sie mit Herz und Verstand?
Wann, sag mir, wann,wird Europa wohl hören,
wann nur, sag mir, wann nur, dass sie Seelen zerstört?
Es ist wahr, die Wangen Europas haben rosigere Zeiten gesehen.
Doch es ist nicht so, als wären damals mehr Heldentaten geschehen.
Europas röchelne Lungen, sie färben die Augen ihr schwarz,
doch auf eitrigem Schorf sitzt ein Junge. Und der wartet. Und der fragt:
„Wann, sag mir, wann, wird etwas geschehen?
Wann, sag mir, wann, darf ich weitergehen?
Wann, sag mir, wann, wird es anders sein?
Wann nur, sag mir, wann nur, lasst ihr mich nicht mehr allein?“
30 окт 2024