Offenheit oder Selbstdarstellung? Was Diversität und Inklusion für Unternehmen bedeutet
Alle Menschen und Unternehmen sind moralische Selbstdarsteller. Wir versuchen, anderen eindeutig zu signalisieren, dass wir die Guten sind und auf der richtigen Seite stehen. In einer digitalen Welt ist Moral eine kostbare Währung, daher ist für Unternehmen der Druck gestiegen, ihre Fortschrittlichkeit besonders deutlich zur Schau zur stellen. So steht nicht mehr nur «fair trade» auf den Kaffeebohnen, sondern «Klimaschutz», «Inklusion» und «Diversität» in jeder Selbstbeschreibung.
Die Preisfrage lautet: Wie unterscheidet man die aufrichtigen Ansätze von den Trittbrettfahrern, die sich lediglich inszenieren, etwa mit Klimaschutz-Themen («Green Washing») oder mit Gender-Themen («Purple Washing»)? Und wie wehrt man sich auf der anderen Seite gegen den Shitstorm von Hashtag-Aktivisten, die die Unternehmen mit übertriebenen und teils absurden Vorwürfen angreifen, um sich ihrerseits als moralisch überlegen zu inszenieren? Kurz: wo liegt die goldene Mitte zwischen Resilienz und Veränderung?
Statt auf die Außendarstellung sollten sich Unternehmen mehr auf wissenschaftliche Studien und evidenzbasierte Verfahren konzentrieren. Die Palette erfolgsversprechender Lösungen ist breit: Die Wirtschaft sollte verbindliche, transparente und damit überprüfbare Standards für Diversität und Inklusion einführen, um Etikettenschwindel zu unterbinden. Statt Diversitätstrainings anzubieten, die nachweislich keinen positiven Effekt auf die Einstellungspraxis haben, sind Mentoren-Programme für Bewerber aus unterrepräsentierten Gruppen sinnvoller, wie die Forschung zeigt. Innovation entsteht nicht primär durch die Förderung biographischer, sondern intellektueller Diversität. Und eine gelebte Kultur der Offenheit hilft nicht, nur Komplexität und moralische Ambivalenz wertzuschätzen, sondern führt auf unternehmerischer Seite zu mehr Kreativität und Innovation.
Philipp Hübl ist Gastprofessor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin.
Vortrag auf dem Kongress «Neu denken» der Wirtschaftsjunioren Mannheim im Sommer 2021.
Anschließende Diskussion mit Ulrike Reinhard.
14 окт 2024